Bundesgerichtshof: Fehlen der Herstellergarantie als Sachmangel.
Beschaffenheitsmerkmale einer Kaufsache sind nicht nur die Faktoren, die ihr selbst unmittelbar anhaften, sondern vielmehr auch all jene Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben.
Der Sachverhalt:
Der Kläger kaufte vom Beklagten, einem Kraftfahrzeughändler, einen Gebrauchtwagen, den dieser zuvor auf einer Internetplattform zum Verkauf angeboten und dort mit einer noch mehr als ein Jahr laufenden Herstellergarantie beworben hatte. Kurz nach dem Kauf mussten infolge von Motorproblemen Reparaturen durchgeführt werden, die für den Kläger aufgrund der Herstellergarantie zunächst kostenfrei blieben. Später verweigerte der Hersteller mit der Begründung, im Rahmen einer Motoranalyse seien Anzeichen für eine Manipulation des Kilometerstandes - vor Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger - festgestellt worden, weitere Garantieleistungen; die Kosten der bereits durchgeführten Reparaturleistungen und des während der letzten Reparatur zur Verfügung gestellten Ersatzfahrzeugs wurden dem Kläger nunmehr teilweise in Rechnung gestellt. Daraufhin trat dieser unter Verweis auf die fehlende Herstellergarantie vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises sowie den Ersatz ihm entstandener Aufwendungen.
Bisheriger Prozessverlauf:
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben die Auffassung vertreten, es handele sich bei der Herstellergarantie nicht um ein Beschaffenheitsmerkmal des Kraftfahrzeugs, sondern lediglich um eine rechtliche Beziehung außerhalb der Kaufsache, nämlich zwischen Hersteller und Fahrzeughalter. Deshalb könne das Fehlen einer solchen Garantie, auch wenn sie vom Verkäufer zugesagt oder beworben worden sei, von vornherein nicht einen für einen Rücktritt erforderlichen Sachmangel im Sinne der § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB*, § 434 Abs. 1 BGB** begründen.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - seit der im Jahre 2001 erfolgten Modernisierung des Schuldrechts ein wesentlich weiterer Beschaffenheitsbegriff gilt und daher das Bestehen einer Herstellergarantie für ein Kraftfahrzeug ein Beschaffenheitsmerkmal der Kaufsache nach allen Tatbestandsvarianten des § 434 Abs. 1 BGB** darstellt. Der Bundesgerichtshof – so auch der Senat - hat seit der Schuldrechtsmodernisierung bereits mehrfach entschieden, dass als Beschaffenheitsmerkmale einer Kaufsache nicht nur die Faktoren anzusehen sind, die ihr selbst unmittelbar anhaften, sondern vielmehr auch all jene Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben. Das Bestehen einer Herstellergarantie für ein Kraftfahrzeug erfüllt diese Voraussetzungen. Ihr kommt beim Autokauf regelmäßig sogar ein erhebliches wirtschaftliches Gewicht zu. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kann das Fehlen der beworbenen Herstellergarantie deshalb - bei Vorliegen der weiteren, vom Berufungsgericht nicht geprüften Voraussetzungen des § 434 Abs. 1 BGB** - auch im vorliegenden Fall einen Mangel des verkauften Gebrauchtwagens begründen und den Kläger zum Rücktritt berechtigen. Der Senat hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die erforderlichen weiteren Feststellungen getroffen werden können.
Anmerkung der BVfK-Rechtsabteilung:
Dieses Urteil überrascht die BVfK-Juristen. Bisher waren die Land- und Oberlandesgerichte sowie maßgebliche Kommentare davon ausgegangen, dass die Herstellergarantie eine vertragliche Nebenabrede darstelle. Ein Fehlen der Herstellergarantie stellte in diesem Zusammenhang zumindest solange kein Problem dar, wie die Garantie nicht in Anspruch genommen wurde bzw. der Händler sich bereit erklärte, im Umfang der Herstellergarantie einzustehen.
Auch dieses Urteil stellt insofern eine Fortsetzung der sehr verbraucherfreundlichen Bewertung juristischer Sachverhalte durch den BGH dar. Besonders unerfreulich ist dieses Urteil, weil es weitere Fragen aufwirft und so den Weg für eine weitere Entwicklung öffnet, die zu neuen Belastungen für den Handel führen wird, der besonders die EU-Importeure treffen wird. Auch wird sich nun die Frage stellen, ob dieser Mangel nachbesserungsfähig ist oder nicht. Angenommen der Hersteller gewährt keine Garantieverlängerung und der BGH lässt die Zusage des Händlers, im Rahmen der Herstellergarantie zu haften, nicht ausreichen – dann wäre der Mangel nicht nachbesserungsfähig und würde im Regelfall zur Rücktrittsmöglichkeit führen.
Urteil vom 15. Juni 2016 - VIII ZR 134/15
Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 15.06.2016